CLUE Computerlinguistik Uni Erlangen

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5.1.1. Die Auxiliare haben oder sein und ein Partizip II

Perfekt Indikativ Aktiv
Perfekt Konjunktiv I Aktiv
Plusquamperfekt Indikativ Aktiv
Plusquamperfekt Konjunktiv II Aktiv
Als die wichtigsten Auxiliarkonstruktionen sind zunächst die Perfektformen zu nennen, die gebildet werden, indem man die Auxiliare haben oder sein mit einem Partizip II eines Vollverbs verbindet. Dabei bestimmt das infinite Vollverb, von dem die Perfektform gebildet werden soll, welches der beiden Auxiliare verwendet wird. Welche Vollverben jetzt mit haben, sein oder mit beiden verbunden werden können, ist ein Thema, welches in den benutzen Grammatiken ausführlich behandelt wird. 49 Auch bei der links-assoziativen Analyse muß natürlich darauf Rücksicht genommen werden. Allerdings steht diese Information schon im Lexikon, das heißt, daß eine morphologische Analyse eines Partizip II eine Kategorie liefert, die angibt, mit welchem der beiden Auxiliare es verbunden werden kann. Wenn also die syntaktische Analyse auf ein finites Auxiliar in seiner verbformumschreibenden Form stößt, muß in der Kategorie vermerkt werden, welches Auxiliar es war, und daß noch ein Partizip II erwartet wird, dessen Kategorie angibt, daß es genau dieses Auxiliar fordert.

Die Bedeutung der Perfektformen (Perfekt und Plusquamperfekt) wird in den verwendeten Grammatiken unterschiedlich beschrieben. Eisenberg, van der Elst und Helbig/Buscha beschreiben die Bedeutungsvarianten durch die verschiedenen Zeitreferenzen zwischen den Zeitintervallen der Aktzeit, der Betrachtzeit und der Sprechzeit. 50 Die Aktzeit wird dabei als das Zeitintervall definiert, in dem das in der Äußerung dargestellte Ereignis stattfindet. Die Betrachtzeit ist das Zeitintervall, von dem aus das in der Äußerung dargestellte Ereignis von dem/der Sprecher/in betrachtet wird. Die Sprechzeit ist das Zeitintervall des jeweiligen Kommunikationsakts, in den dann auch der/die Hörer/in einbezogen wird. 51

Eisenberg stellt den Zeitbezug schematisch dar und stellt das Perfekt bei Sätzen fest, deren Aktzeit vor der Sprechzeit liegt (Es hat geschneit.), das Plusquamperfekt bei Sätzen, deren Aktzeit vor der Betrachtzeit liegt (Es hatte geschneit.). 52 Das Perfekt kann nach Eisenberg aber auch in Sätzen verwendet werden, die den Zeitbezug von Plusquamperfekt oder Futur II haben (Es hat geschneit, bevor wir ankamen. <=> Es hatte geschneit, bevor wir ankamen. Wenn du uns morgen besuchst, hat es bestimmt schon wieder geschneit. <=> Wenn du uns morgen besuchst, wird es bestimmt schon wieder geschneit haben.). 53

Helbig/Buscha geben für das Perfekt drei Bedeutungsvarianten an. Erstens die Variante, mit der ein vergangenes Geschehen ausgedrückt wird: Die Aktzeit ist gleich der Betrachtzeit und beide liegen vor der Sprechzeit (Wir haben die Stadt besichtigt.). Zweitens die, mit der ein vergangenes Geschehen mit resultativem Charakter ausgedrückt wird: Die Betrachtzeit ist gleich der Sprechzeit, die Aktzeit liegt vor beiden (Peter ist eingeschlafen. ==> Peter schläft jetzt.). Drittens die, mit der ein zukünftiges Geschehen ausgedrückt wird: Die Aktzeit liegt vor der Betrachtzeit und beide liegen nach der Sprechzeit (Bald hat er es geschafft.). Für das Plusquamperfekt geben sie nur eine Bedeutungsvariante an, denn es bezeichnet immer vergangene Sachverhalte: Die Aktzeit liegt vor der Betrachtzeit, und die Betrachtzeit liegt vor der Sprechzeit (Er war schon wieder abgereist.). 54

Van der Elst unterscheidet zwei Tempusfunktionen (Zeitreferenzen) die sich mit dem Perfekt ausdrücken lassen. Erstens gibt es die Möglichkeit, daß die Aktzeit vor der Betrachtzeit und der Sprechzeit liegt, wobei sich Betrachtzeit und Sprechzeit überlappen (Das Buch ist heute mit der Fernleihe angekommen.). Diese Zeitreferenz kann aber auch durch das Futur II wiedergegeben werden (Er wird sicherlich nicht umsonst angerufen haben.). Zweitens kann die Sprechzeit vor der Aktzeit, und die Aktzeit vor der Betrachtzeit liegen (Morgen hat er die Prüfung bestanden.). Aber auch diese Zeitreferenz läßt sich durch das Futur II wiedergeben (Morgen wird er die Prüfung geschafft haben.). Für das Plusquamperfekt gibt Van der Elst auch nur eine Tempusfunktion (Zeitreferenz) an, die auch nicht durch eine andere Tempusform ausgedrückt werden kann. Es handelt sich dabei um Sätze, in denen die Aktzeit vor der Betrachtzeit, und die Betrachtzeit vor der Sprechzeit liegt (Als ich hereinkam, hatte sich die Sache schon erledigt.). 55

Die Dudengrammatik beschreibt die Bedeutung der Perfektformen über die Verwendungsweisen. Beim Perfekt lassen sich davon vier unterscheiden:

1. Bezug auf Vergangenes. In dieser Verwendungsweise kann das Perfekt auch manchmal durch das Präteritum ersetzt werden (Kolumbus hat Amerika entdeckt. <=> Kolumbus entdeckte Amerika.).

2. Bezug auf Allgemeingültiges. In dieser Verwendungsweise kann das Perfekt nicht durch das Präteritum ersetzt werden (Wenn der Pfeil die Sehne des Bogens verlassen hat, so fliegt er seine Bahn. ==> *Wenn der Pfeil die Sehne des Bogens verließ, so fliegt er seine Bahn.).

3. Bezug auf Zukünftiges. Auch in dieser Verwendungsweise kann das Perfekt nicht durch das Präteritum ersetzt werden (Wirklich gesiegt haben wir nur, wenn die Eingeborenen den Sinn der Schutzgebiete einsehen. ==> *Wirklich siegten wir nur, wenn die Eingeborenen den Sinn der Schutzgebiete einsehen.).

4. Szenisches Perfekt. Diese Verwendungsweise des Perfekt kann immer auch durch das Plusquamperfekt ersetzt werden (Und aus einem kleinen Tor, das ... sich plötzlich aufgetan hat, bricht ... etwas Elementares hervor. <=> Und aus einem kleinen Tor, das ... sich plötzlich aufgetan hatte, bricht ... etwas Elementares hervor.).

Das Plusquamperfekt unterscheidet sich nach der Dudengrammatik dadurch vom Perfekt, daß es den Vollzug oder Abschluß eines Geschehens für die Vergangenheit und nicht für die Zukunft oder die Gegenwart feststellt. 56 Als eine weitere Verwendungsform des Plusquamperfekts gilt nach der Dudengrammatik das sogenannte 'gestreckte Plusquamperfekt', ein um gehabt oder gewesen erweitertes Plusquamperfekt (Mischa hatte die Geräte in weißes Papier eingewickelt gehabt und unter dem Arm gepreßt getragen.). 57 Es wird dort als Form für eine Art 'Vor-Vorvergangenheit' dargestellt, in der ein Geschehen ausgedrückt werden soll, welches vor einem anderen im Plusquamperfekt geschilderten Geschehen stattgefunden hat. Aber selbst in der Dudengrammatik wird schon eingeschränkt, daß es sich dabei um eine Form handelt, die häufig überflüssig, unkorrekt oder stilistisch unschön verwendet wird und durch andere Konstruktionen ersetzt werden kann. Aus diesem Grunde werde ich sie in dieser Arbeit auch nicht weiter behandeln.

Für Engel ist das Perfekt kein 'Vergangenheitstempus', weil es zeitlich nicht festgelegt ist und daher mehreren Zeitstufen zugeordnet werden kann. 58 Er gibt daher für die Bedeutung der Perfektformen eine Definition an:

"Das Perfekt bezeichnet einen Sachverhalt als
- zu einer bestimmten Zeit
- wirklich, jedoch zugleich
- abgeschlossen und
- für die Gesprächsbeteiligten von Belang." 59

"Das Plusquamperfekt bezeichnet einen Sachverhalt als
- zu einem vergangenen Zeitpunkt
- wirklich, jedoch zugleich
- abgeschlossen und
- ohne Belang für die Gesprächsbeteiligten." 60

Beide Perfektformen können in zwei verschiedenen Modi auftreten. Sie können einerseits in den eben beschriebenen Indikativformen, andererseits aber auch in den Formen des Konjunktivs auftreten. Die Konjunktivformen werden gebildet, indem die entsprechenden Auxiliare in den Konjunktiv gesetzt werden.

In der Dudengrammatik heißt es, daß der Satz durch die Modi eine bestimmte Aussageweise bekommt. Durch den Indikativ wird dabei eine sachliche Feststellung als tatsächlich und wirklich gegeben dargestellt und ohne Bedenken anerkannt (Wenn Maria das Abitur bestanden hat, geht sie zur Universität.). Durch den Konjunktiv I wird eine Aufforderung (Man nehme täglich dreimal eine Tablette.) oder ein Wunsch (Er lebe hoch!) ausgedrückt. Durch den Konjunktiv II wird Irrealität oder Potentialität ausgedrückt (Euer Unternehmen wäre gescheitert.). Beide Konjunktivformen werden aber am häufigsten verwendet, um etwas in der indirekten Rede auszudrücken (Hans sagt, daß er davon nichts gewußt habe/hätte.). 61

Auch nach Helbig/Buscha ist die indirekte Rede die Hauptverwendungsweise des Konjunktivs. Um in der indirekten Rede etwas gegenwärtiges wiederzugeben, wird der Konjunktiv Präsens oder Präteritum verwendet (Sie hat mir gesagt, sie lese/läse gerade einen Roman von Tolstoi.). Um etwas Vergangenes wiederzugeben, wird der Konjunktiv Perfekt oder Plusquamperfekt verwendet (Sie hat mir gesagt, sie habe/hätte den Roman schon früher gelesen.). Um etwas Zukünftiges wiederzugeben, wird der Konjunktiv Futur I verwendet (Sie hat mir gesagt, sie werde den Roman in nächster Zeit lesen.). Daneben können aber auch einige modale Nebensätze (hypothetische Komparativsätze, irreale Konditional-, Konzessiv- und Konsekutivsätze) und einfache Sätze mit dem Konjunktiv gebildet werden. 62

Nach Eisenberg ändert sich der Realitätsbezug in den Sätzen, wenn ein anderer Modus verwendet wird. Den Indikativ kann man dann als die 'Wirklichkeitsform', den Konjunktiv als die 'Möglichkeitsform' bezeichnen. Der Konjunktiv I signalisiert dabei eine Nicht-Faktizität und ist nicht auf die indirekte Rede beschränkt. Außerdem kann er die Setzung eines Sachverhalts oder die Aufforderung zu dessen Realisierung ausdrücken (volitiv). Der Konjunktiv II wird nach Eisenberg in potentialen oder irrealen Konditionalsätzen verwendet, wobei sich nicht nur der Realitätsbezug, sondern auch der Zeitbezug im Gegensatz zu dem zugrunde liegenden Indikativsatz ändert. 63

Van der Elst gibt semantische Klassen für die Modi an. Nach ihm drückt der Indikativ Neutralität und Wirklichkeitsbezug (Irren ist menschlich.), der Konjunktiv I Aufforderungen (Man drehe die Schrauben nicht so fest.), der Konjunktiv II hypothetische Äußerungen (Ich wäre in deinem Fall stur geblieben.) oder Stellungnahmen (Das dürfte eine gute Lösung sein.) aus. Konjunktiv I und II können verwendet werden, um vermittelte oder indirekte Rede (Konjunktiv I: Er behauptet, daß er nicht kommen könne., Konjunktiv II: Sie sagten, sie hätten sich wohlgefühlt.) oder um Wünsche (Konjunktiv I: Möge das Glück mit Dir sein!, Konjunktiv II: Hätten wir doch Ferien!) auszudrücken. 64

Engel gibt auch hier wieder für die Bedeutung eine Definition an, wobei er zwischen Konjunktivformen und den Perfektformen im Konjunktiv unterscheidet:

"In seiner Hauptbedeutung ist der Konjunktiv I
- Anzeiger für Textwiedergabe.
Eine Nebenbedeutung des Konjunktiv I ist
- Irrealität des Sachverhalts.
Eine dritte Bedeutung des Konjunktiv läßt sich umschreiben als
- 'soll der Fall sein'." 65

"Der Konjunktiv II hat folgende Hauptbedeutung: Ein Sachverhalt ist
- zu beliebigem Zeitpunkt und
- nur unter einer Bedingung, deren Erfüllung ungewiß ist, wirklich, außerdem
- für die Gesprächsbeteiligten nicht weiter von Belang.
In einer wichtigen Nebenbedeutung dient der Konjunktiv II als
- Indikator für Textwiedergabe.
In Wunschsätzen signalisiert der Konjunktiv II, daß der Sachverhalt
- nicht wirklich, aber
- erwünscht ('zu realisieren') und
- für die Gesprächsbeteiligten von Belang ist.
In einer letzten Verwendungsweise des Konjunktiv II wird das Merkmal
- 'Belanglosigkeit' herausgehoben." 66

"Das Perfekt zum Konjunktiv I bezeichnet einen Sachverhalt als
- zu beliebigem Zeitpunkt
- nur referiert (wiedergegeben) und
- entweder abgeschlossen oder vergangen." 67

"Das Perfekt zum Konjunktiv II bezeichnet einen Sachverhalt als
- zu beliebigem Zeitpunkt
- nur bedingt wirklich,
- abgeschlossen oder vergangen und
- ohne Belang für die Gesprächsbeteiligten." 68

In der vorliegenden Arbeit wird aber keine semantische Betrachtung des Verbalkomplexes angestrebt, sondern eine rein syntaktische. Daher will ich hier auch nicht weiter auf dieses Thema eingehen und es bei dieser kurzen Beschreibung belassen.

Das Perfekt Indikativ Aktiv wird gebildet, indem eines der finiten Auxiliare haben oder sein im Präsens Indikativ Aktiv mit dem Partizip II eines Vollverbs verbunden wird.

Das Plusquamperfekt Indikativ Aktiv, das Perfekt Konjunktiv I Aktiv und das Plusquamperfekt Konjunktiv II Aktiv werden entsprechend gebildet, indem eines der finiten Auxiliare haben oder sein im Präteritum Indikativ Aktiv, im Präsens Konjunktiv I Aktiv oder im Präteritum Konjunktiv II Aktiv mit dem Partizip II eines Vollverbs verbunden werden. In den nachfolgend aufgeführten Sätzen steht das finite Auxiliar haben im Präsens Indikativ Aktiv. Ohne daß eine Änderung in der Analyse auftreten würde, könnte es auch im Präsens Konjunktiv I Aktiv, Präteritum Indikativ Aktiv oder Präteritum Konjunktiv II Aktiv stehen. Außerdem kann an der Stelle des Auxiliars haben auch das Auxiliar sein stehen, ohne das eine Änderung in der Analyse auftreten würde.

1. Kernsatz
Die Menschen haben das Schiff gesegelt.

2. Kernsatz mit topikalisierter Akkusativergänzung
Das Schiff haben die Menschen gesegelt.

3. Kernsatz mit topikalisiertem infinitem Verb
Gesegelt haben die Menschen das Schiff.

4. Stirnsatz
Haben die Menschen das Schiff gesegelt?

5. Spannsatz
..., daß die Menschen das Schiff gesegelt haben!


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