Die meisten Verbalkomplexe werden mit den Auxiliaren haben, sein und werden in finiter Form gebildet, die dann mit einem infiniten Vollverb in der Form eines Partizip II oder eines Infinitivs verbunden werden, um ein Tempus oder das Genus verbi zu umschreiben. Die Infinitive der Vollverben bestehen dabei aus dem infiniten Vollverb selbst oder aus einer Kombination von infinitem Vollverb und infiniten Auxiliaren. Die infiniten Auxiliare können als Infinitive (haben, sein, werden) oder als Partizip II (sein, werden) vorkommen, wobei das Partizip II von werden in diesem Zusammenhang ohne das Präfix ge- gebildet wird, also nur worden lautet.
Weitere Verbalkomplexe werden mit den Modalverben in finiter Form gebildet. Diese werden dann mit einem Infinitiv verbunden, womit eine bestimmte Art und Weise des durch das Vollverbs bezeichneten Geschehens ausgedrückt wird. Im allgemeinen werden die Modalverben mit einem einfachen Infinitiv verbunden, aber es ist auch möglich, sie mit einem der komplexen Infinitive zu verbinden. Sie können also auch an den Stellen stehen, an denen das Auxiliar werden mit einem Infinitiv verbunden wird, um eine Form im Futur I oder Futur II zu bilden.
Wenn die Modalverben mit dem Auxiliar haben verbunden werden, um eine der Perfektformen zu bilden, kommt das infinite Modalverb dabei nicht in der Form eines Partizip II, sondern in der eines Infinitivs vor. Soll es jedoch mit dem Auxiliar werden zur Bildung eines Futur II verbunden werden, steht es im Infinitiv Perfekt in der Form eines Partizip II. Zusätzlich können die Modalverben auch miteinander kombiniert und mit den Auxiliaren zur Tempusbildung verbunden werden.
Neben den Modalverben gibt es die Modalitätsverben (pflegen, gedenken etc.), die ebenfalls einen modalen Charakter haben und einen Verbalkomplex bilden können. Sie werden aber mit der Präposition zu und mit einem einfachen Infinitiv verbunden. Zu den Modalitätsverben zählen auch die Auxiliare haben und sein, denn auch sie können eine Modalität ausdrücken und werden dann mit der Präposition zu und einem einfachen Infinitiv verbunden. Außerdem können die Modalitätsverben auch mit den Auxiliaren verbunden werden um, Formen des Tempus und Genus verbi zu bilden.
Des weiteren gibt es die Infinitivverben, die keine Modalität ausdrücken, aber einen Sachverhalt näher beschreiben. Sie werden wie die Modalverben mit einen Infinitiv ohne zu oder wie die Modalitätsverben mit einen Infinitiv mit zu verbunden. Auch in diesem Zusammenhang kann das Auxiliar haben verwendet und mit einem Infinitiv ohne zu verbunden werden. Diese Verben können auch mit den Auxiliaren verbunden werden um, Formen des Tempus und Genus verbi zu bilden.
Schließlich gibt es noch die Partizipverben, die einen Verbalkomplex bilden können. Sie werden mit dem Partizip II eines Vollverbs verbunden, und auch dann ist es wieder möglich, von diesem Verbalkomplex mit den Auxiliaren Tempusformen zu bilden.
Daneben gibt es noch einige Verben, die verschiedene Verwendungsmöglichkeiten haben, aber von sich aus keinen Verbalkomplex bilden. Von diesen Verben lassen sich nun auch Verbalkomplexe bilden, wenn sie mit den Auxiliaren haben, sein und werden verbunden werden. Zu diesen Verben zählen die Auxiliare selber, wenn sie als Vollverben verwendet werden, das Auxiliar sein wenn es eine imperfektive Aktionsart zum Ausdruck bringen soll, sowie haben, sein und einige andere Verben, wenn sie als Funktionsverben die Konjugationsendungen tragen, während das Geschehen durch das Nomen einer Nominal- oder Präpositionalphrase beschrieben wird.
Neben der großen Anzahl von morphologischen Komponenten gibt es für den Verbalkomplex auch noch verschiedene Möglichkeiten der Wortstellung. Am häufigsten tritt die Variante auf, in der das finite Verb an der zweiten funktionalen Stelle steht, und das infinite die letzte Position einnimmt. Besteht der infinite Teil aus mehreren Verben, so haben diese jedoch eine feste Reihenfolge. Desweiteren gibt es die Variante, in der das finite Verb das erste Wort im Satz ist, und der infinite Teil wieder - bei mehreren Verben in fester Reihenfolge - am Ende des Satzes steht. In eingeleiteten Nebensätzen, die mit einer unterordnenden Konjunktion beginnen, stehen sowohl der finite als auch der infinite Teil des Verbalkomplexes am Ende. Allerdings steht zuerst der infinite, dann der finite Teil. Diese Regel wird nur in Sätzen mit mehreren Infinitiven im Verbalkomplex abgeändert, wo wieder der finite Teil vor den infiniten tritt.
Diese vielfältigen Strukturen werden in den von mir benutzten Grammatiken von Eisenberg 1 , Engel 2 und Helbig/Buscha 3 , in der Dudengrammatik 4 , sowie in 'Syntaktische Analyse' von van der Elst 5 unterschiedlich beschrieben und dabei mehr oder weniger ausführlich behandelt. Ob die Grammatik dabei wie der Duden eher normativ ist, ob die verschiedenen Strukturen wie bei Eisenberg oder Engel eher deskriptiv und aus einer anderen Sicht dargestellt werden, ob sich die Grammatik wie bei Helbig/Buscha eher an Ausländer mit geringer Kompetenz für die deutsche Sprache richtet, oder ob es sich dabei wie bei van der Elst um eine Anleitung und Beschreibung zur syntaktischen Analyse handelt, eines ist allen Bücher gemein: Sie verwenden bei der Beschreibung der verschiedenen Strukturen alle eine Mischung aus Syntax und Semantik.
Aus computerlinguistischer Sicht stellt sich nun das Problem, daß eine Beschreibung für diese Strukturen gefunden werden muß, die sich nur auf die morphologischen Komponenten und die Stellungsregularitäten in den Verbalkomplexen bezieht. Ziel dieser Arbeit ist es also, die Informationen aus den verschiedenen Grammatiken zu abstrahieren und Regeln für Verbalkomplexe zu erstellen, die so explizit und exakt sind, daß sie als Computerprogramm (Parser) implementiert werden können. Dazu ist es nötig, eine Beschreibungsmöglichkeit für die in verschiedenen Kontexten und Bedeutungen vorkommenden Verben (Auxiliare, Modal-, Modalitäts-, Infinitiv-, Partizip-, Funktionsverben) zu finden, und es muß eine Möglichkeit gefunden werden, die verschiedenen Stellungsregularitäten zu beschreiben.
Als programmiertechnischen Rahmen verwende ich hierzu den Formalismus der links-assoziativen Grammatiken, wie er von Hausser 6 beschrieben wird. Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist ein Parser für die Verbalkomplexe der deutschen Sprache, der auf dem Bereichsrechnernetz der Philosophischen Fakultäten I und II als Teilkomponente der grammatischen Beschreibung in der LA-Grammatik entwickelt worden ist. 7
Die Vorgehensweise bei der Beschreibung und Analyse der Verbalkomplexe in dieser Arbeit ist immer nach demselben Schema strukturiert: Zunächst werde ich den Verbalkomplex mit den Mitteln der konventionellen Grammatik beschreiben (Dudengrammatik, Eisenberg, Engel, Helbig/Buscha). Dann folgt eine syntaktische Analyse, bei der ich mich besonders an die Arbeit von van der Elst halten und hauptsächlich seiner Vorgehensweise bei der Analyse folgen werde. Nachdem ich den Verbalkomplex auf konventionelle Weise analysiert habe, werde ich die Verbalkomplexe mit der links-assoziativen Grammatik von Hausser darstellen. Dazu werde ich die Phänomene an Beispielen, einer automatischen Satzanalyse, die mit dem von mir geschriebenen Parser erstellt wurde, und einem Regelpfad beschreiben.
Beginnen werde ich diesen Beschreibungszyklus mit dem Satz:
Die Menschen segeln das Schiff.
Von diesem Satz ausgehend werden die Auxiliarkonstruktionen beschrieben, die sich mit diesem Satz erstellen lassen. Nachdem die Auxiliarkonstruktionen ausführlich behandelt worden sind, werde ich die anderen Verbalkomplexe und die sich daraus ergebenden Auxiliarkonstruktionen behandeln. Zum Schluß werden die weiteren Konstruktionen und die Auxiliarkonstruktionen, die diese bilden können, bearbeitet.